Wissenschaftliche Studien bezüglich der U.S. Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 zeigten, dass die Mehrheit der Menschen, die von sich behaupten, besonderen Wert auf die Ehrlichkeit von Politikern zu legen, für George Bush gestimmt haben, obwohl kurz zuvor die Täuschung der Bevölkerung durch die Bush Regierung bezüglich der Kriegsgründe für den Einmarsch in den Irak öffentlich gemacht wurde. Wie konnte dies geschehen ?
Traumaforschung zu Verrat und Täuschung
Untersuchungen von Menschen, die traumatische Missbrauchserlebnisse hatten, zeigen, dass sie alle an Gedächtnisverlust litten. Der Gedächtnisverlust war besonders hoch, wenn die missbrauchende Person ein Familienmitglied war, zu dem sich das Opfer in einem Abhängigkeitsverhältnis befand. Dieser Zusammenhang lässt sich besser verstehen, wenn man die zugrunde liegenden psychologischen Prozesse betrachtet : Jeder Mensch verfügt über einen natürlichen Warnmechanismus, der Alarm schlägt, wenn jemand versucht uns zu manipulieren. Auf so eine Warnung reagieren wir in der Regel mit Zurückweisung und Wut bezüglich des Manipulators. Diese Reaktion funktioniert aber nicht, wenn der Manipulator eine Person ist, zu der man sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Kind durch ein Elternteil missbraucht wird. In diesem Fall kann eine als manipulativ empfundene Handlung partiell verdrängt und neu bewertet werden, so dass sie dann nicht mehr als manipulativ empfunden wird. Alternativ kann sie auch völlig verdrängt werden, wodurch dann Gedächtnisverlust entsteht. Dieselben Mechanismen können auch in einer Beziehung zwischen Erwachsenen zum Einsatz kommen, wenn z.B. eine Ehefrau missbrauchende Handlungen ihres Ehemanns verdrängt, weil sie finanziell von ihm abhängig ist.
Die U.S. Präsidentschaftswahl im Jahr 2004
Die Handlungen des U.S. Präsidenten haben erheblichen Einfluss auf das Leben jedes U.S. Bürgers, somit besteht zwischen Volk und Präsident auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Das Ausmaß der Abhängigkeit ist für jeden Bürger verschieden. Fundamentalistische Christen zum Beispiel sehen den Präsidenten als den Beschützer ihrer moralischen Werte. Ein Mensch, der völlig mit seinen Werten identifiziert ist, empfindet jeden Angriff auf diese Werte als persönlichen Angriff. Da sich viele Menschen als zu machtlos empfinden, um ihre Werte selbst zu verteidigen, brauchen sie eine Person mit der sie sich identifizieren können und die diese Werte für sie verteidigt : Den Präsidenten
Sobald diese Abhängigkeitsverbindung hergestellt ist, ist das Fundament für die Verdrängung von Verrat und Täuschung gelegt. Somit wird es schwierig für die betroffenen Menschen, Lügen oder Täuschung wahrzunehmen, wenn sie geäußert werden oder sich zu einem späteren Zeitpunkt daran zu erinnern. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der US Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 : Dort wurde bei Umfragen festgestellt, dass speziell Wähler, die besonderen Wert auf Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit legen, für Bush gestimmt haben, obwohl nur Wochen vorher die Bush-Regierung der Lüge und Täuschung bezüglich der Kriegsgründe für den Irak-Krieg überführt wurde.
Manipulation durch Orwellsche Rhetorik
Die Bush Administration war besonders gut darin Orwellsche Rhetorik einzusetzen, um die eigene Bevölkerung zu täuschen : So wurden z.B. die Namen für Richtlinien so gewählt, dass sie auf den ersten Blick gut klingen. Dabei verlässt sich die Regierung auf die Ignoranz der Bevölkerung, gar nicht so genau wissen zu wollen, was sich wirklich hinter der Richtlinie verbirgt. Zwei Beispiele : Die "Healthy Forest Initiative" (Gesunder Wald Initiative) war in Wirklichkeit ein Plan die Anzahl zu fällender Bäume zu erhöhen. Die "Clear Skies Initiative" (Sauberer Himmel Inititative) diente dazu die Grenzwerte für Luftverschmutzung zu erhöhen. Sogar die Zeitung Washington Post griff diese Manipulationstaktik auf und schrieb im Jahr 2005 "fast immer kann man davon ausgehen, dass die Maßnahme das genaue Gegenteil von dem anstrebt, was ihr Name vorgibt".
Ein Blick in die Zukunft
Ergebnisse von Studien deuten darauf hin, dass die Fähigkeit der Bevölkerung zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden abnimmt, umso gefährlicher die Bevölkerung die Lage der Welt einschätzt. Gefühle von Unsicherheit breiten sich speziell in Zeiten wirtschaftlicher Krisen rasant aus und die Abhängigkeit von Sozialleistungen der Regierung nimmt zu. Dadurch nimmt die Zahl der Menschen ab, die noch in der Lage sind die Lügen der Regierung als solche zu erkennen. Die Anzahl der U.S. Bürger, die von Essensmarken leben ist in den letzten Krisenjahren rasant angestiegen. Im Juli 2010 lag sie bei 41 Millionen Amerikanern, im März 2012 waren es bereits 46,4 Millionen Amerikaner.
Solange sich Politiker darauf verlassen können, dass eine Kombination aus Ignoranz und Blindheit die Bevölkerung am Erkennen der systemischen Verlogenheit hindert, wird das Spiel wohl so weiter gehen. Erst wenn die Stabilitätsgrenze des Systems aufgrund von zu viel Verlogenheit erreicht ist, wird es vermutlich zu einer Implosion des gesamten Systems kommen, weil alle Sollbruchstellen gleichzeitig nachgeben. Zu diesem Zeitpunkt dürften dann relativ viele Menschen plötzlich erkennen wie sie belogen wurden. Aus Traumastudien zu Verrat und Täuschung weiß man, dass sich die Wahrnehmung des Opfers sehr schnell ändert, wenn das Abhängigkeitsverhältnis unterbrochen wird - z.B. weil der Manipulator nicht länger für das Opfer sorgen kann. In diesem Moment kann in sehr kurzer Zeit die Fähigkeit zurückerlangt werden, Lügen und Täuschung als solche zu erkennen.
Leider dürfte es dann aber zu spät sein Veränderungen in konstruktiver Weise vorzunehmen. Die rasante Veränderung bei einem Systemkollaps ist im wesentlichen durch Chaos getrieben und Regierungen werden zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Einfluss auf den Ablauf der Geschehnisse haben. Obwohl dieser Prozess vermutlich zu viel Leid für die Menschheit führen wird, bleibt doch zu hoffen, dass einige Menschen durch diese Erfahrung ein feineres Gespür für Lügen und Täuschung durch Autoritätspersonen entwickeln werden. Wenn diese Menschen dann wirklich ehrlich mit sich selbst sind, werden sie vielleicht sogar zugeben können, dass sie akzeptiert haben, belogen zu werden, um sich nicht mit den ganzen furchteinflößenden Aspekten unserer Realität auseinandersetzen zu müssen. Aspekte, die eine Reflektion des kollektiven Zustands der Menschheit sind. Aspekte, die wir haben geschehen lassen, ohne offen Kritik an ihnen zu üben. Aspekte, die wir gemeinsam als "normal" definiert haben aber die in Wirklichkeit unmenschlich sind und uns allen schaden. Diese Aspekte werden sich ändern müssen genauso wie sich die Menschheit ändern muss, denn beide sind untrennbar miteinander verwoben.
Dieser Artikel basiert zum Teil auf einer englisch-sprachigen Veröffentlichung von Eileen Zurbriggen vom Fachbereich Psychologie der Universität von Kalifornien.